Nr. 54 lebt(e)
Gerade Typ 3 aus dem ersten Modelljahr sind selten und interessant. Irgenwie wird man das Gefühl nicht los, dass VW die ersten Käufer als Testfahrer betrachtet hat, denn im ersten Modelljahr sind die Änderungen zahlreich. Doch noch bevor die reguläre Produktion anlief, baute das Volkswagenwerk eine Nullserie für Test- und PR-Zwecke. Eines dieser Fahrzeuge (oder besser: seine Reste) tauchte kürzlich auf. Es hat die Fahrgestellnummer 0000054.
Von einer richtigen Fließbandproduktion konnte bei der Nullserie keine Rede sein. Anscheinend haben die Arbeiter im VW-Werk in den ersten Monaten so ziemlich alles verbaut, was ihnen in die Finger kam. Deshalb unterscheiden sich die für die Prospekte fotografierten Typ 3 auch in einigen Ausstattungsdetails. Manche hatten sogar ein weißes Lenkrad und ein weißes Lenkrohr. Mal gab es vier Regulatoren für die Frischluftzufuhr, dann wieder nur drei wie in der Serie. Mal sind Türpappen mit Kartentasche, dann wieder welche mit einer Klappe abgebildet. Auch der Handschuhfachverschluss ist auf einigen Abbildungen abschließbar. Angeblich wurde dieses Teil für das geplante, aber nur in wenigen Prototypen gebaute, Cabrio entwickelt. Im Teilekatalog taucht dieses Handschuhfachschloss nicht auf. Geschickte Retusche, oder gab es das alles wirklich? Nummer 54 kann uns zumindest einige Fragen beantworten, wirft aber auch neue auf und lässt vieles einfach im Dunklen. Viel ist nach all den Jahren nicht mehr von der einstmals golfblauen Limousine übriggeblieben. Die Fragmente des linken Schwellers schwingen frei am Kabelbaum, die Bodenbleche sind zum großen Teil weggerostet. Der Motor fehlt. Das ist besonders schade, weil gerade bei den ersten Modellen VW noch viel verändert hat, denn zunächst wollte der Flatfour im großen Bruder des kleinen Käfers überhaupt nicht laufen. Immer wieder wurden der Vergaser und die Zündung optimiert.
Die Sitze der Nummer 54 wurde gegen neuere aus einem späteren S-Modell getauscht. Gott sei Dank blieben die Türpappen an ihren Platz. Denn sie sind ungewöhnlich genug. Die Kartentasche ist hier tatsächlich als Klappe an Gummizügen ausgebildet. Beide Seiten sind zwar verschmutzt und angeschimmelt, aber da. Auch unter der schwarzen Abschlusskante oben an den Türen findet sich Absonderliches: Zierleisten. Die Limousinen der Serie erfreuten ihre Besitzer nicht mit diesem zusätzlichen Schmuck. Die Frage nach den weißen Lenkrädern bleibt unbeantwortet: Nummer 54 hat ein schwarzes Volant. Blättert man die frühen Testgeschichten in den einschlägigen Publikationen des Jahres 1961 durch, so findet man auch dort nur schwarze Lenkräder. Lediglich in einigen Prospekten ist das Lenkrad weiß. Die Reguliereinheit für die Frischluft ist bei diesem Fahrzeug dreigeteilt – wie in der Serie. Trotzdem muss es auch Autos mit vier Schiebern gegeben haben, denn in der HOBBY-Ausgabe vom Juli 1961 sind sie klar und deutlich zu erkennen.
Hinter dem Fersenblech der Fondpassagiere finden sich zwei kleine Verstrebungen aus dünnem Blech. Sie stützten sich einstmals gegen die Schweller ab. In der Serienfertigung verzichtete VW auf dieses unsinnige, weil zu schwache, Detail. Ein weiteres Merkmal für die frühen Modelle, aber nicht spezifisch für die Vorserie, sind die hinteren Aufstellfenster: Macht man sie auf, verbleibt der Alurahmen am Glas, während die Dichtung an der Karosse befestigt ist. Ab Fahrgestell-Nummer 0015000 (genaue Zahl muss ich nachsehen) bleibt die komplette Dichtung am Fenster. Wie es sich für einen frühen Typ 3 bis Modelljahr 1963 gehört, hat der 1500er Armaturen mit roten Zeigern. Der vollverchromte Handschuhfachknopf ist abschließbar. Gab es das wirklich nur in der Vorserie? Mindestens drei weitere solche Handschuhfachknöpfe als Neuteile sind noch bekannt. Wer hat noch so einen Handschuhfachknopf in seinem Typ 3?
Unter der vorderen Haube warten einige Überraschungen. Der Tank ist grau und nicht schwarz lackiert, der Tankgeber ist laut Stempel im Februar 1961 produziert worden, obwohl der erste Typ 3-Ersatzteilkatalog von VW den Beginn der Teileproduktion auf April 1961 datiert. Die Kofferraumpappe ist grau und glatt, nicht mit einer Kästchenprägung, wie bei den späteren Baujahren, versehen.
Noch interessanter wird es unter der hinteren Haube. Die berühmte Drehmomentstütze (so bezeichnete VW die Motorhalterung bei den Pendelachsern direkt unter dem Motorraumdeckel) ist vollkommen anders geformt als in der späteren Serienfertigung. Viel mehr lässt sich nicht sagen, da das halbe Abschlussblech und der linke hintere Kotflügel wegen eines Unfallschadens ersetzt wurden.
Im vorderen Kofferraum fand sich einer der originalen Katzenaugenhalter vom Heck. Er ist blau lackiert und hat kein Ablaufloch – deshalb rosteten die Dinger auch so gern durch. Erst später rüstete VW eine Ablaufmöglichkeit nach, damit der Stahl nicht rostete. Aber bei Nummer 54 ist der Halter aus Aluminiumguß.
Auch die Rückleuchtengläser unterscheiden sich. Bekanntlich gibt es bei den flachen Rückleuchten die Größe 1 und 2. Sie unterscheiden sich um vielleicht drei Millimeter in der Höhe und passen auf alle Rücklichtträger der Kurzschnauzer. An diesem frühen Typ 3 findet sich sogar noch ein Glas völlig ohne jede Größenbezeichnung. Das andere muss bei dem Unfall zerbrochen sein.
Sicherlich gibt es an diesem Typ 3 noch mehr Unterschiede zur späteren Serienfertigung, die man in der Kürze eines Fototermins kaum herausfinden kann. Ohnehin fallen alle Änderungen nur dem Eingeweihten auf.
Dennoch entdeckte Jonas Uhland in Finnland die interessanten Details an diesem Wagen. Wie es den Golfblauen nach Finnland verschlagen hat, wird sich wohl kaum mehr feststellen lassen. Von Paul "The Puppy" Medhurst von den "Type 3 Detectives" aus Großbritannien hörte Clubmitglied Patrik Dickman aus den USA von dem Typ 3, kaufte ihn blind und ließ ihn nach Deutschland schaffen. Jetzt allerdings blickt die Ruine einer ungewisen Zukunft entgegen, da der Eigner aus privaten Gründen den Wagen nicht nach Amerika holen kann.
Es dürfte mehr als schwierig werden, diesen Typ 3 wieder in den Originalzustand zu versetzen. Die nur ein Modelljahr lang verbauten Stoßstangen fehlen und sind weder für Geld noch für gute Worte aufzutreiben. Ein zweiter 62er als Schlachtfahrzeug ist ebenfalls fast zwingend notwendig, denn die originale Karosse ist kaum noch zu retten. Vom Motor über die Gummimatten im Fußraum (die übrigens auch fehlen) bis hin zum originalen Sitzbezugstoff: Bei den frühen Modellen ist fast alles anders und kaum mehr zu bekommen. Deshalb ist die Nummer 54 ein Fall für Freaks. Wer wagt es? Ernsthafte Interessenten können sich direkt an Patrik oder an die Redaktion des "Großen Volkswagens" wenden. Billig ist der Spaß allerdings nicht!
Text und Fotos: Thorsten Elbrigmann
Nachtrag: Dieser Artikel ist 1996 in unserer Clubzeitung "Der große Volkswagen" erschienen. Inzwischen ist das Fahrzeug geschlachtet worden. Die hier beschriebenen spezifischen Teile sind an den Besitzer in die USA geschickt worden. Nr. 54 ist damit unrettbar verloren.